Wie hat die Pandemie unsere Wahrnehmung der Pflege verändert?
Am 28. November 2021 haben 61 Prozent der Abstimmenden Ja zur Pflegeinitiative gesagt. Dieser Entscheid hat historische Dimensionen: Fast 10 Jahre ist es her, seit zum letzten Mal ein von linken Kreisen lanciertes Volksbegehren eine Mehrheit fand. Klar ist, die Covid-Pandemie hat in den letzten zwei Jahren die Bedeutung der Pflege für die Gesundheitsversorgung ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Doch wie geht es nun weiter? War die Bereitschaft Ressourcen für die Pflege im grossen Umfang zu sprechen nur ein kurzes Strohfeuer oder zeigt sich tatsächlich ein Richtungswechsel ab?
Der Bundesrat hat nach Annahme der Pflegeinitiative beschlossen, diese in zwei Etappen zu bearbeiten. Die Ausbildungsoffensive und die direkte Abrechnung waren bereits im indirekten Gegenvorschlag zur Initiative enthalten, daher können diese rasch und ohne erneute Vernehmlassung im Parlament bearbeitet werden.Die Umsetzung von anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Abgeltung benötigen dagegen mehr Zeit, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf seiner Webseite festhält. Aktuell warten viele Kantone mit der Umsetzung der Pflegeinitiative zu, doch es gibt auch positive Ausnahmen. Der Kanton Zürich hat im Februar 2022 beschlossen, knapp vier Millionen Franken in die Weiterbildung von Pflegepersonal zu investieren. Zwischen 1. April 2022 und 31. Januar 2024 sind die Nachdiplom-Studiengänge für Intensiv- und Notfallpflege kostenlos. Auch Basel-Stadt, Basel-Land oder St. Gallen wollen aktiv werden, doch konkrete Entscheide wurden noch keine gefällt.
Wie haben die Pflegekräfte während der Covid-Pandemie die Arbeits- und Stressbelastung sowie die Wertschätzung der Bevölkerung erlebt? Diese Frage haben die Wirtschaftsprofessoren Markus Arnold und Arthur Posch, der Universität Bern, untersucht. (1) Die Umfrage, an der sich über 4'100 Pflegekräfte in 19 Schweizer Spitäler beteiligten, zeigt klar, dass die erste Covid-19-Welle die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals in allen Abteilungen erhöht hat. Besonders stark war der Anstieg der Arbeitsbelastung bei Pflegefachkräften in Not- und Intensivabteilungen.
Gemäss der erwähnten Befragung stieg während der ersten Pandemiewelle auch die Stressbelastung der Pflegefachkräfte an. Als besonders belastend gab das Pflegepersonal bei Covid-19-spezifischen Stressquellen beispielsweise die Gefahr der Übertragung von Covid-19 auf Familienangehörige sowie notwendiges Social Distancing von ihrer Familie an. Interessanterweise ist, dass die Arbeitszufriedenheit, während der ersten Covid-19-Welle minimal angestiegen, obwohl eine höhere Arbeits- und Stressbelastung die Arbeitszufriedenheit normalerweise senkt. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass die Pflegefachkräfte sehr viel mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Wertschätzung erfahren haben, was sich wiederum positiv auf die Zufriedenheit auswirkt. Arthur Posch zeigt sich auch beeindruckt von der «Widerstandsfähigkeit» der Pflegefachkräfte. Die Studienresultate unterstreichen die hohe Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Pflegefachkräfte. Die Studie zeigt aber auch klar die verringerte Zufriedenheit mit der Bezahlung der Pflegefachkräfte. Trotz der höheren Arbeits- und Stressbelastung wurde die Bezahlung des Pflegepersonals aufgrund des Kostendrucks in Spitälern nicht oder nur ungenügend angepasst.
Die Verantwortung für die Umsetzung der anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Abgeltung der Pflegeleistungen liegt hauptsächlich bei den Kantonen, den Leistungserbringern und Sozialpartnern. Das Universitätsspital Basel (2) zeigt wie das geht: Die Löhne im Pflegebereich werden um durchschnittlich 1,3 Prozent erhöht, die Zeitgutschriften bei kurzfristigen Einsätzen verdoppelt und der Schichtbonus im Nachtdienst steigt von 20% auf 30%.
Auch wenn die Pandemie aktuell nicht mehr im Zentrum der Berichterstattung steht, ist es wesentlich, dass das neue Bewusstsein hinsichtlich der Bedeutung der Pflege aufrechterhalten wird. Einen Beitrag dazu leistet das neu ins Leben gerufene Forschungsprogramm «Spitalpflegereport Schweiz» (3). In enger Kooperation mit Schweizer Spitälern untersuchen Markus Arnold und Arthur Posch regelmässig die Arbeitssituation von Pflegefachkräften. Das Team Mettier Projekte wünscht sich, dass vergleichbare Untersuchungen auch im Langzeitpflegebereich initialisiert und umgesetzt werden könnten.
Dranbleiben lohnt sich!
(1) www.uniaktuell.unibe.ch/2021/wertschaetzung_motiviert_pflegekraefte_in_der_pandemie/index_ger.html
(2) www.medinside.ch/de/post/universitaetsspital-basel-erhoeht-die-loehne-im-pflegebereich
(3) www.iuc.unibe.ch/forschung/spitalpflegereport_schweiz/index_ger.html