Impfempfehlung und Pflegeinitiative - die Sicht des Berufsverbandes

Expertengespräch mit Roswitha Koch, Leiterin Abteilung Pflegeentwicklung beim Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK-ASI)Der Verband vertritt die Stimme von rund 25 000 Mitgliedern und ist damit einer der grössten Berufsverbände im Schweizer Gesundheitswesen.


Frau Koch, in der Pflege wird das Thema Impfen seit langem kontrovers diskutiert. Während Ärztinnen und Ärzte sich mehrheitlich impfen lassen, bleibt die Zahl der Geimpften im Pflegebereich, auch bei der Grippe Impfung, tief. Wie erklären Sie sich dieses Verhalten? Die öffentliche Kommunikation ist da leider etwas verzerrt und zu wenig differenziert. Praktisch alle Pflegefachpersonen sind z.B. gegen Hepatitis B geimpft. Bei solch gängigen und sehr lange wirksamen Impfungen gibt es in der Regel keine Diskussionen. Einzig bei der Grippeimpfung, die nicht jedes Jahr und vor allem nicht für alle Altersgruppen gleich wirksam ist, ist die Sache komplizierter. Die Situation bei den in der Schweiz zugelassenen Impfstoffen zum Schutz gegen Covid-19 ist noch einmal anders: Wir sind in der Schweiz privilegiert einen leichten Zugang zu sehr wirksamen Impfstoffen zu haben. Es ist bei Covid-19 auch klar belegt, dass die Krankheit um ein Vielfaches gefährlicher ist als die Impfung. Erfreulicherweise sind heute bereits viele Pflegende gegen Covid-19 geimpft. Im Luzerner Kantonsspital oder in den Solothurner Spitälern sind das 80% der Mitarbeitenden. Die Zürcher Spitäler haben eine Impfquote von 75% bei allen Mitarbeitenden mit Patientenkontakt kommuniziert.


Der Berufsverband ist aktiver Partner der Impfkampagne des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und unterstützt die Impfung gegen Covid-19. Was unternimmt der SBK-ASI konkret, um mehr Pflegende für die Impfung zu gewinnen? Im Zentrum unserer Aktivitäten steht das Vermitteln von Informationen, die Beratung der Mitglieder, die Beantwortung von Fragen sowie die Interessenvertretung.  Zusätzlich zu unserer Impf-Partnerschaft mit dem BAG publizieren wir Artikel zu Covid-19 in der SBK-Zeitschrift "Krankenpflege" und wenden uns regelmässig über unsere elektronischen Kanäle mit News zu Covid-19 an unsere Mitglieder. Denn wir gehen davon aus, dass Pflegefachleute ihren Impfentscheid gut informiert treffen wollen.


Eine Studie, die im Jahr 2019 vom BAG veranlasst wurde, zeigt auf, dass in der Fachausbildung dem Thema Impfen weniger als vier Unterrichtsstunden gewidmet werden. Sehen Sie bei der Ausbildung einen Ansatzpunkt, um die Situation längerfristig zu verbessern? Ja, eindeutig. Themen wie Infektionskrankheiten und deren Prävention sowie Public Health und Epidemiologie sollten in der Ausbildung von Pflegefachpersonen und Fachpersonen Gesundheit (FaGe) breiter vermittelt werden. Deshalb engagierte sich der SBK stark für die Schaffung einer eidgenössischen Höheren Fachprüfung (HFP) für Pflegefachpersonen zur "Fachexpertin Infektionsprävention und Spitalhygiene" Mehr dazu unter: (https://fibs.ch/). Die Fachexpertinnen Infektionsprävention sind traditionell in Spitälern angestellt. Seit einigen Jahren kommen sie zunehmend auch in Heimen oder in der Spitex zum Einsatz. Sie helfen beim Erstellen und Umsetzen von Hygienekonzepten oder bei der Schulung des Personals im Umgang mit Schutzmaterial. Der flächendeckende und systematische in Einsatz dieser Spezialistinnen bei der Vermittlung von Infektionsthemen in der Ausbildung von FaGe und Pflegefachpersonen ist ein weiterer wichtiger Pfeiler, um möglichst schnell markante Verbesserungen zu erzielen.


Am 28. November 2021 stimmt das Volk über die Pflegeinitiative ab. Viele der enthaltenen Forderungen zur Erhöhung der Pflegequalität und Patientensicherheit sind unbestritten. Doch den Pflegeberuf mittels Verfassungsartikel aufwerten zu wollen, entspricht nicht unserer Rechtsordnung. Wie soll mit diesem Dilemma umgegangen werden? Es gibt hier kein Dilemma. Wir haben 20 Jahre lang versucht die Anliegen der Pflege gesetzlich abzubilden. 2001 hat Nationalrat Joder eine entsprechende Motion eingereicht. Nach deren Scheitern versuchte NR Joder mit einer parlamentarischen Initiative die Anliegen der Pflege in entsprechende Gesetze giessen zu lassen; leider ohne Erfolg. Wir sind damit zwei Mal im Parlament gescheitert. Daher blieb uns auf dem gesetzgeberischen Weg nur noch die Lancierung einer Volksinitiative. Der Indirekte Gegenvorschlag des Parlaments ist ungenügend. Er fokussiert auf die Ausbildung. Es fehlen Massnahmen, damit Pflegende länger im Beruf bleiben. Mehr Informationen zur Pflegeinitiative unter: https://pflegeinitiative.ch/


Roswitha Koch, ist Pflegefachfrau und leitet die Pflegeentwicklung beim SBK. Sie arbeitete 10 Jahre als Pflegeexpertin Intensivpflege. Nach einem Masterstudium in Public Health baute sie die Abteilung Pflegeentwicklung am Gesundheits-departement St. Gallen auf. Seit 2007 ist sie beim SBK für Pflegethemen wie Ethik, Psychiatrie oder Infektionskrankheiten und für internationale Beziehungen zuständig. Weitere Positionen: Vorstand des International Council of Nurses (ICN); Vorstand von APN-CH und vom Fachrat von Public Health Schweiz (PHS). Sie hat Erfahrung mit Epidemien in Afrika und mit den Gesundheitssystem von diversen Ländern auf vier Kontinenten.