Welche Gesundheitsinformationen wünschen sich Patientinnen und Patienten im Internet?

Das MP Expertengespräch mit Dr. phil. Fabia Rothenfluh, Head of Health in Enterprise Development bei comparis.ch


Qualitätsbewertungen im Internet beeinflussen heute die meisten Kaufentscheide. In Ihrer kürzlich veröffentlichten Dissertation haben Sie untersucht, welche Unterschiede es bei der Auswahl eines Hotels oder Arztes im Internet gibt. Wie lauten Ihre wichtigsten Feststellungen?

Hotel- und Ärztebewertungswebseiten sind im visuellen Aufbau und ihren Funktionen verblüffend ähnlich (z.B. Karte, Sternchen- und Textbewertung, Angebot). Unsere Studie hat deshalb das Suchverhalten von jungen Eltern, die ein Hotel resp. einen Kinderarzt suchen verglichen und festgestellt, dass dieses auf beiden Applikationen sehr ähnlich war. Teilnehmer, die zum Beispiel an Bildern interessiert waren, schauten sich bei Hotels wie auch bei Ärzten zuerst die Fotos an. Interessant war, dass rund 85% der Eltern deutlich länger nach einem Hotel als nach einem Kinderarzt suchten, obwohl die Arztwahl als wichtiger empfunden wurde! Bei anschliessend kritischer Reflexion im Rahmen von Interviews wurde das ähnliche Suchverhalten von den Eltern hinterfragt. Während für sie die Entscheidungskriterien bei der Hotelwahl auf der Hand lagen, konnten sie bei der Arztwahl nur schwer einschätzen, auf welche Indikatoren sie achten sollten. Wie gut ein Kinderarzt ihren Bedürfnissen entspricht, würden sie deshalb erst nach dem persönlichen Kennenlernen entscheiden können. Zudem zeigten die Eltern grundsätzlich ein grosses Vertrauen in Kinderärzte und das Gesundheitssystem.

In Ihrer Arbeit haben Sie weltweit die Metadaten von 143 Ärztebewertungswebseiten untersucht und dabei deutliche Unterschiede hinsichtlich Qualität und Informationsinhalt festgestellt. Worauf sollen medizinische Laien achten, wenn sie im Web einen Arzt suchen? 

Die Liste ist lang, deshalb beschränke ich mich auf drei wesentliche Aspekte: Finanzierungsmodell der Webseite, Mindestanzahl an Bewertungen sowie Antwortmöglichkeit für Leistungserbringer. Besonders das Finanzierungsmodell hat grossen Einfluss: Rund 84% der von uns untersuchten Webseiten wurden privatwirtschaftlich betrieben. So konnten sich Ärzte auf rund 36% der von uns untersuchten Webseiten eine höhere Position und bessere Darstellung in der Suchresultatliste erkaufen. Dies ist kritisch, weil die meisten Leute dazu neigen, nur die obersten Suchergebnisse zu lesen. Aufschlussreich ist auch die Anzahl abgegebener Bewertungen betreffend Patientenzufriedenheit. Ab 30 Ratings kann man davon ausgehen, dass vereinzelt extreme Bewertungen den Notendurchschnitt weniger verzerren. Grundsätzlich gilt aber, je mehr verifizierte Bewertungen, desto aussagekräftiger das Resultat. Ein weiteres Indiz für eine seriöse Bewertungsplattform sind ein Benachrichtigungssystem und Antwortmöglichkeiten für die Ärzte. So kann ein bewerteter Leistungserbringer auf Feedback der Patienten antworten, was gleich einen doppelt positiven Effekt hat: Einerseits kann er oder sie sich zu Wort melden, andererseits entsteht so ein wichtiger Feedback-Mechanismus, der einen Beitrag zur Qualitätssteigerung leisten kann, wie Studien aus Deutschland aufzeigen.


Qualitätsbewertungen im Gesundheitswesen sind sehr anspruchsvoll. Insbesondere das Behandlungsergebnis können Patienten nur sehr eingeschränkt beurteilen. Die Diskussion um die publizierten Mortalitätsdaten macht deutlich, dass informieren alleine nicht genügt. Welche Bewertungskriterien unterstützen eine Internetrecherche sinnvoll?

Eine differenzierte Betrachtung von Qualitätsindikatoren ist unerlässlich. Dabei sind nicht nur die verschiedenen Indikatoren, sondern auch die unterschiedlichen Messmethoden zu beachten. Wer Qualitätsindikatoren zu Rate zieht, sollte sich stets fragen, wie und von wem diese erfasst wurden, welchen Mehrwert diese bringen und wo die Grenzen der Aussagekraft dieser Indikatoren und Messmethoden liegen. Auch die Interpretation der Daten erfordert Aufmerksamkeit: Wurden beispielsweise patientenindividuelle Risiken, die Risikoadjustierung mitberücksichtigt? Auf der anderen Seite sind aber auch Institutionen und Bewertungsseiten gefordert, mittels erklärender Darstellung und Zusatzinformationen, die Verständlichkeit von Qualitätsdaten für fachfremde Personen zu steigern.


 Mehrere Studien zeigen, dass Bewertungsseiten auch im Schweizer Gesundheitswesen deutlich an Bedeutung gewinnen. Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie?

Bewertungen sind heutzutage fast schon allgegenwertig und diese Entwicklung wird auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt machen. Entscheidend wird sein, wie diese Bewertungen gestaltet werden: Welche Fragen werden dem User gestellt? Wie werden Resultate präsentiert? Welche Massnahmen werden ergriffen, um die Qualität der Bewertungen sicherzustellen?  Regulatorische Massnahmen wie in Deutschland (siehe ÄZQ - Gute Praxis Bewertungsportale) können mithelfen, dass Bewertungsplattformen ein Mindestmass an Qualität erbringen. Davon profitieren beide Seiten!


Frau Rothenfluh, was ist Ihr ganz persönlicher Tipp an Leistungserbringer, die sich mittels einer qualitativ wertvollen Webseite an potentielle Patienten wenden wollen?

Zur Schaffung von Transparenz ist es wichtig, dass Leistungserbringer Bewertungen zulassen und wenn möglich sachlich auf diese antworten. Glücklicherweise sind Patienten durchaus kritisch gegenüber Bewertungen und lassen sich, wie eine meiner Studien zeigte, bei Textreviews kaum durch übertriebene Kommentare blenden. Zudem sind im Schnitt rund 80% der Bewertungen positiv, wie unterschiedliche Studien aus Europa, den USA und Asien belegen. Insgesamt sind Leistungserbringer, die Patienten dazu anregen, Bewertungen zu schreiben, im Vorteil: Ein Profil ohne Reviews wird von Usern oft negativer betrachtet als eines mit der einen oder anderen kritischen Bewertung. Ein negativer Review kann also für Ärzte eine doppelte Chance sein: Erstens gibt es mögliche Hinweise für Qualitätsverbesserungen und zweitens kann eine professionelle Antwort auf eine negative Bewertung sehr überzeugend wirken!


Fabia Rothenfluh studierte im Bachelor Economics und Communication Science in Orlando Florida (USA). Anschliessend absolvierte sie ihren Master in Social and Public Communication an der London School of Economics. Ihre Dissertation, mit Fokus auf Ärztebewertungsportale verfasste sie an der Università della Svizzera italiana. Seit September 2017 arbeitet Fabia Rothenfluh bei Comparis, wo sie den Bereich Health im Enterprise Development leitet.