Die koordinierte Versorgung von psychisch erkrankten Personen – eine besondere Herausforderung

Das MP Expertengespräch mit Prof. Dr. med. Urs Hepp, ärztlicher Direktor der  Integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland (ipw).


Herr Prof. Hepp, warum ist die Schnittstelle „Akutsomatik – Psychiatrie“ für die Entwicklung der koordinierten Versorgung von besonderer Bedeutung? 
Menschen mit psychischen Erkrankungen leiden oft gleichzeitig an körperlichen Erkrankungen. Ihre Lebenserwartung ist 10-25 Jahre tiefer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Die verminderte Lebenserwartung ist zu über 80% auf körperliche Erkrankungen, allen voran Herzkreislauf-Erkrankungen zurückzuführen, und nur zu einem kleineren Teil auf Suizide. Psychische Erkrankungen erhöhen direkt das Risiko von Herzkreislauf-Erkrankungen, am besten ist dies für Depressionen belegt. Zudem weisen psychisch belastete Menschen mehr Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel sowie ungünstige Ernährungsgewohnheiten auf. Weiter ist die somatische Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich schlechter im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Dies hat einerseits damit zu tun, dass z.B. depressive Menschen die Behandlung weniger konsequent befolgen. Andererseits werden psychisch belastete Menschen z.B. im somatischen Spital oft  nicht adäquat behandelt, weil das Betreuungsteam nicht selten überfordert ist.


Das Modell ipw basiert auf der Vernetzung und Integration aller Versorgungsebenen, um psychiatrische Behandlungen besser auf Patientenbedürfnisse auszurichten. Wie wird bei ipw die Zusammenarbeit mit den akutsomatischen Leistungserbringern gestaltet?

Die ipw steht für die integrierte Versorgung. Das heisst, dass wir sowohl mit somatischen Spitälern, als auch mit Hausärzten und Spitex eng zusammenarbeiten. So besteht zwischen der ipw und der Spitex eine Kooperationsvereinbarung. Die Spitex nimmt eine Schlüsselrolle ein, wenn es darum geht, somatische und psychische Behandlungen zu koordinieren und z.B. die regelmässige Einnahme von Medikamenten zu unterstützen. Die ipw verfügt zudem über einen Konsiliar- und Liaisonpsychiatrischen Dienst: Ein Team von Psychiatern und Psychologen  betreuen direkt im somatischen Spital Patienten mit psychischen Komorbiditäen mit und schliessen so die Kluft zwischen somatischer und psychischer Behandlung.


Stigmatisierung und Diskriminierung von psychisch Erkrankten sind auch im Schweizer Gesundheitswesen ein Thema, wie eine vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegeben Studie zeigt. Mit welchen Massnahmen begegnet ipw diesem Problemkreis?

Im Zentrum stehen Schulung und Sensibilisierung von Mitarbeitenden in den Spitälern und Arztpraxen sowie weiterer Berufsgruppen, die in der Behandlungskette eine wichtige Rolle einnehmen. Als sehr wirkungsvoll haben sich Besuche von Behandlungsteams der somatischen Kliniken in der Psychiatrie erwiesen. Aber auch konsequente Öffentlichkeitsarbeit hilft, vermehrt für das Thema psychische Erkrankungen zu sensibilisieren. Das hilft, sowohl Betroffenen als auch professionellen Helfern und Angehörigen, das Thema anzusprechen.


Herr Prof. Hepp, was ist Ihr ganz persönlicher Tipp, dass der Wissenstausch zwischen den Disziplinen vorankommt und vermehrt gemeinsame Projekte zur integrierten Versorgung gestartet werden?


Der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrsche Dienst steht exemplarisch für die integrierte Zusammenarbeit. Durch den direkten Austausch der Fachdisziplinen erfolgt ein gegenseitiges Verständnis. Gerade auch im Altersbereich sind Teams der ipw in Heimen vor Ort präsent. Viele Hospitalisationen können dadurch verhindert werden. Leider ist es aber auch hier so, dass das Potenzial dieser Initiativen auf Grund schlechter Finanzierung in der Schweiz noch viel zu wenig genutzt wird.


Prof. Dr. med. Urs Hepp studierte an der Universität Zürich Medizin und schloss 1999 die Weiterbildung zum Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie ab. Seine Habilitation mit dem Titel «Posttraumatic Stress Disorder – Epidemiological, clinical and neurobiological findings» erwarb er an der Universität Zürich, welche ihn 2015 zum Titularprofessor für Psychiatrie und Psychotherapie ernannte. Seine Forschungsschwerpunkte sind Suizidprävention und Versorgungsforschung.