«Peers – Erfahrungen nutzbringend weitergeben»

Das MP Expertengespräch mit Sevérina Kümin, Peer-Verantwortliche der Privatklinik Clienia Littenheid AG. 


Frau Kümin, Expert:innen aus Erfahrung, wie Peers auch genannt werden, verstehen sich als Bindeglied zwischen Fachperson und Betroffenen und unterstützen die aktive Auseinandersetzung mit der Krankheitssituation. Wie sind Sie zur Peerarbeit gekommen? Eine Mitpatientin vermittelte mir den Kontakt zum Verein Trialog und Antistigma, dort konnte ich in einem schulischen Aufklärungsprojekt mitwirken. Vor der Reaktion der Jugendlichen hatte ich zu Beginn meines Einsatzes eine Wahnsinnsangst. Unbegründet, wie es sich rasch herausstellte. Ich bekam Lob für meinen Mut, über meine seelischen Verletzungen zu sprechen. Eine neue Erfahrung für mich, war ich doch in meiner Schulzeit oft gemobbt worden. Mit jedem Schulprojekt fasste ich mehr Vertrauen und allmählich spürte ich so etwas wie Stolz. In den trialogischen Seminaren des Vereins lernte ich den Weiterbildungsverantwortlichen der Clienia Littenheid kennen. Er gab mir die Chance, bei seinen Schulungen für Fachpersonen mein Erfahrungswissen einzubringen. Im Austausch mit den Fachpersonen spürte ich ein echtes Interesse an meinen Erfahrungen, diese bekamen dadurch eine neue Wertigkeit. Endlich sah ich einen Sinn, meine Arbeitsstelle im 2. Arbeitsmarkt aufzugeben und mich ganz der Peerarbeit zuzuwenden.

 

Um sich als Peer erfolgreich für andere Betroffene einsetzten zu können, ist es wichtig zur eigenen Geschichte genügend Distanz gewonnen zu haben. Kein einfaches Unterfangen! Wo bekommen Interessenten Unterstützung? Um im Beruf als Peer bestehen zu können, muss der Eigenerfahrungsanteil bewusst aufgearbeitet werden. Da ich noch in meinem eigenen Genesungsprozess stecke, ist mir persönlich der Austausch in einem therapeutischen Setting wichtig. Ebenso der regelmässige Austausch unter uns Peers. Der neu gegründeten Dachverband Peerarbeit Schweiz soll eine Plattform bieten und damit die schweizweite Vernetzung der Peers fördern. Der Verband engagiert sich auch politisch und setzt sich für eine Berufsanerkennung der Peers ein. Ebenfalls eine wichtige Anlaufstelle ist die Peer-Ausbildungsstätte Ex-In Schweiz (2). 

 

Wie ist die Peerarbeit in den Clienia Kliniken organisiert? In der Clienia Litteneid sind die festangestellten Peermitarbeiter und Mitarbeiterinnen Teil des Teams, mit allen dazugehörenden Rechten und Pflichten. Unsere Aufgabe ist vielfältig: Dazu gehören der direkte Patientenkontakt, die Leitung von Recovery-Gruppen und die Beteiligung an klinikinternen Schulungen. Die Clienia Littenheid ist auch Ausbildungsstätte für Peers, das heisst, wir haben regelmässig Peer-Praktikanten, die ihr Einstiegs- und Vertiefungspraktikum bei uns absolvieren. Ab diesem Jahr sind mein Kollege und ich Peerverantwortliche der Klinik. Damit sind wir für Koordination der Peer-Praktika, die Peer-to-Peer-Betreuung zuständig und beteiligen uns an der Weiterentwicklung der peer- und recoveryspezifischen Dienstleistungen. In Ergänzung dazu vertreten wir die Klinik in Peerangelegenheiten nach innen und aussen (3).


Was wünschen Sie sich, Frau Kümin, für die Weiterentwicklung der Peerarbeit? Mein Ziel ist die Berufsanerkennung der Peers in der Schweiz. Der neu gegründete Dachverband bietet meinen Mitstreitern und mir eine Plattform, um dieses ambitionierte Ziel gemeinsam zu erreichen. Wir wollen unsere Arbeit mehr und mehr professionalisieren. Die Peerarbeit soll so breiter werden und künftig auch Aufstiegschancen bieten.

  1. www.trialog-antistigma.ch
  2. www.ex-in-schweiz.ch
  3. www.clienia.ch/de/news/was-ist-ein-peer/





Sevérina Kümin: «Ich habe mir oft gewünscht, Jemanden an meiner Seite zu haben, der aus eigener Erfahrung nachempfinden kann, wie es in mir aussieht.» Als Vorstandsmitglied im Dachverband Peerarbeit Schweiz kann ich mich engagieren, dass die Erfahrungsexpertise die Anerkennung bekommt, die sie verdient. Einen Ausgleich finde ich gemeinsam mit meinem Mann in einer Guggenmusig (Fasnachtsmusik).